
»Beim Alkoholkonsum gibt es keine gesundheitlich unbedenkliche Menge!« – Was die Weltgesundheitsorganisation WHO seit 2023 kommuniziert, basiert auf einer Vielzahl gründlich geprüfter wissenschaftlicher Studien. Die Alkoholindustrie und ihre politischen Verbündeten laufen dagegen Sturm, auch in der Schweiz.
Alkohollobby schaltet auf Angriff
Nachdem der Bundesrat eine entsprechende Interpellation von Ständerat Benedikt Würth (Mitte, Sankt Gallen) im August und eine Anfrage von Nationalrat Nicolò Paganini (Mitte, Sankt Gallen) souverän konterte und auf den positiven Effekt der sinkenden Alkoholnachfrage verwies, rollt nun die nächste Welle konzentrierter Angriffe profitgesteuerter Lobbyarbeit auf das Parlament zu. Begleitet von einem riesigen PR-Aufwand inklusive Medienfrühschoppen, verlangt Ständerat Würth nun in einer von Mitgliedern fast aller Parteien unterzeichneten Motion einen »Marschhalt bei neuen Empfehlungen zum mäßigen Alkoholkonsum«. Der Bundesrat soll beauftragt werden, die Verabschiedung neuer Richtlinien zurückzustellen und vor der Verabschiedung neuer Richtlinien »die betroffenen Kreise« (gemeint sind beispielsweise Winzerverbände, Brauereien und die Alkoholindustrie) anzuhören.
Der Bundesrat beantragt in seiner Stellungnahme die Ablehnung der Motion, weist auf methodische Schwächen der von Würth zitierten Studien hin und betont die solide wissenschaftliche Basis der Empfehlungen der WHO, die »sich für präventive, schadensmindernde Maßnahmen einsetzt, um den Konsum zu kontrollieren und die Risiken für die Gesundheit zu reduzieren.«
Angriff auf WHO im Ständerat läuft ins Leere

Im Januar 2023 hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO öffentlich festgehalten: »Beim Alkoholkonsum gibt es keine gesundheitlich unbedenkliche Menge!« Diese im Fachjournal »The Lancet« festgehaltene Erkenntnis rief im Bundeshaus den St. Galler Mitte-Ständerat Benedikt Würth auf den Plan. Er behauptete in einer parlamentarischen Anfrage (Interpellation), die Studie sei einseitig und dramatisiere die Risiken, und ihr Autor Tim Stockwell stehe »in engem Kontakt mit einer militanten Abstinenzbewegung«. Gemeint ist damit Movendi International; Würth übernahm hier die Sprachregelung der Alkoholindustrie. Der Interpellant beklagte die durch den Konsumrückgang verursachten »maßgeblichen Schäden« für die »betroffenen Branchen«; so sei der Weinkonsum deutlich zurückgegangen.
Taktik der Industrie: Deny, delay, defend
In die Diskussion haben sich nun mit IOGT Schweiz und dem Blauen Kreuz auch fachlich kompetente Organisationen eingeschaltet, die sich seit weit über 100 Jahren für Menschen mit einem Alkoholproblem engagieren und sich genauso lange für Präventionsmaßnahmen und korrekte Informationen einsetzen. In einem an alle Mitglieder des Ständerats versandten Brief empfehlen ihnen Priska Hauser-Scherer, IOGT-Landespräsidentin, und Marc Peterhans, Geschäftsführer des Blauen Kreuzes Schweiz, die Ablehnung der Motion Würth mit folgender Begründung:
Seit 2016 ist belegt, dass Alkoholkonsum über alles gesehen keine gesundheitlichen Vorteile bringt (publiziert im Wissenschaftsmagazin ›The Lancet‹ 2018). Ältere Studien litten an unterschiedlichen Methodenfehlern. Auch die in der Motion erwähnte UNATI-Studie ist sehr beschränkt (Fokus: Beratungen, Bedingung: mediterrane Ernährung in Spanien, Teilnahmealter 50 – 75 Jahre) und wird keine neuen Erkenntnisse für die Schweiz liefern. 2023 haben führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Alkoholforschung darauf hingewiesen, dass das Krankheitsrisiko und vor allem das Krebsrisiko mit jeder Menge Alkohol zunimmt.
Dass jeder Alkoholkonsum das Krankheitsrisiko steigert, gefällt der Alkoholindustrie erwartungsgemäß nicht. Im Sommer 2025 erschienen verharmlosende Artikel zum Alkoholkonsum, und Ständerat Würth reichte entsprechende Vorstöße ein, sekundiert von Nationalrat Paganini. Dabei übernimmt die Alkoholindustrie das Drehbuch der Tabakindustrie, das diese seit über 70 Jahren anwendet: ›Deny, delay, defend‹, also Verleugnen der Tatsachen, Verzögern eines wirksamen Gesundheitsschutzes und Verteidigen gesundheitsschädigender Märchen. Die Motion 25.4153 enthält sowohl die Verleugnung der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis als auch das Verzögern der Empfehlungen als wirksame Maßnahme. Sie will nicht die Gesundheit schützen, sondern Zweifel streuen. Die Alkoholindustrie wird auch in Zukunft diese Strategie verfolgen und im Parlament Vorstöße gegen die Empfehlungen zum Alkoholkonsum und Alkoholprävention einreichen lassen. Wir, die wir uns intensiv mit dem Thema Alkohol befassen und täglich seine negativen Seiten erleben, sehen die Notwendigkeit einer schweizweiten Kommunikation zu den Gefahren des Alkohols. Dazu gehören aktuelle, wissenschaftsbasierte Empfehlungen zum Alkoholkonsum.«
Die Motion wurde in der kleinen Kammer am 15. Dezember 2025 beraten und angenommen, was IOGT-Vorstandsmitglied Florian Klee so kommentierte:
Der Ständerat knickt unterm dem Druck der Alkohollobby ein. Nach dem Freigeben von Millionen für die Weinsubventionierung torpedieren die ›Volksvertreter*innen‹ die Präventionsbemühungen nun auch mit der Forderung nach Falschinformation der Bevölkerung. Hoffen wir, der Nationalrat macht's besser, sonst bezahlt jede*r von uns die volkswirtschaftlichen Folgeschäden in Milliardenhöhe aus dem eigenen Sack. Die Suchtmittelindustrie würde es freuen.«
Quelle: IOGT-Rundschau Nr. 6/2025
