Die Bundesregierung hätte die einmalige Chance, alkoholpolitische Lösungen voranzutreiben, da die gesellschaftlichen Normen im Umgang mit Alkohol durch gesündere Normen und Erwartungen ersetzt werden. Die Menschen in Deutschland, insbesondere die jüngeren Generationen, leben zunehmend alkoholfrei und gleichzeitig unterstützt eine Mehrheit der Deutschen evidenzbasierte alkoholpolitische Maßnahmen.
Trotz des Rückgangs des Alkoholkonsums ist das Land mit einer hohen Alkoholbelastung konfrontiert.
Deutschland ist ein Hochkonsumland mit einer weit verbreiteten Alkoholnorm. Entsprechend hoch ist die Zahl der alkoholbedingten Schäden.
Inmitten dieser düsteren Realität einer hohen Belastung durch vermeidbare alkoholbedingte Todesfälle und Krankheiten gibt es in der deutschen Gesellschaft einige kleine positive Trends:
200 %
Alkoholfreies Bier immer beliebter
- Der Alkoholkonsum ist rückläufig, da Alkohol weniger erschwinglich ist,
- mehr Jugendliche bleiben länger alkoholfrei, und
- die Produktion von alkoholfreiem Bier ist um fast 200 % gestiegen.
2012 wurden in Deutschland 242 Millionen Liter alkoholfreies Bier produziert. Im Jahr 2022 stieg diese Zahl auf 474 Millionen Liter.
In Deutschland gilt Bier als alkoholfrei, wenn es mit maximal 0,5 % Alkohol vergoren wurde. Was auf den ersten Blick wie eine Verbesserung der deutschen Alkoholnorm aussieht, hat noch weitere Nuancen.
Pro-Kopf-Verbrauch von Bier in Deutschland weiterhin hoch
Deutschland ist nach wie vor einer der größten Alkoholkonsumenten im europäischen Raum. Rund 91,6 Liter Bier trinkt ein*e Deutsche*r pro Jahr. Auch der Konsum anderer Alkoholika ist nach wie vor hoch. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Wein liegt bei 20,7 Litern, von Sekt bei 3,2 Litern und von Spirituosen bei 5,2 Litern.
Diese Daten wurden von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen erhoben. Im Durchschnitt konsumiert jede*r über 15-Jährige in Deutschland etwa 10 Liter reinen Alkohol pro Jahr.
Im Jahr 1990 waren es noch 13,4 Liter. Der Rückgang des Alkoholkonsums beläuft sich auf ein bis zwei Flaschen Bier und ein bis zwei Gläser Wein pro Kopf. Der Alkoholkonsum ist nach wie vor hoch und damit auch die alkoholbedingten Schäden in Deutschland. Es handelt sich hier eindeutig um eine Krise der öffentlichen Gesundheit.
Sinkende Erschwinglichkeit führt zu einem Rückgang des Alkoholkonsums
12 %
Sinkender Bierabsatz in Deutschland im letzten Jahrzehnt
Im Jahr 2022 produzierte die deutsche Bierindustrie 7,6 Milliarden Liter alkoholhaltiges Bier. Der Bierabsatz ist in den letzten zehn Jahren um 12 Prozent zurückgegangen, berichtet die Berliner Morgenpost.
Nach Angaben des Deutschen Brauerbundes – einer Lobbygruppe der Alkoholindustrie – ist die sinkende Nachfrage nach alkoholhaltigem Bier auf die hohe Inflation zurückzuführen. Dies bedeutet, dass Alkohol in Deutschland immer weniger erschwinglich ist, und mit sinkender Erschwinglichkeit geht auch der Alkoholkonsum zurück. Die Wirksamkeit der Senkung der Erschwinglichkeit von Alkohol bei der Prävention alkoholbedingter Schäden ist gut dokumentiert.
Das bedeutet, dass die Menschen weniger Geld in Kneipen und Restaurants ausgeben, so der Deutsche Brauerbund. Die deutsche Alkoholindustrie befürchtet Gewinneinbußen, wie die Berliner Morgenpost berichtet.
Dr. Jakob Manthey vom Hamburger Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung betont jedoch:
Der abnehmende Alkoholkonsum ist an sich ein gutes Zeichen. Die Zahl derjenigen, bei denen im Totenschein als Todesursache Alkohol steht, ist in den vergangenen Jahren aber gestiegen.«
Allein im Jahr 2020 starben in Deutschland mehr als 14.200 Menschen an den Folgen von Alkohol. Sie starben an den Folgen der Alkoholabhängigkeit, zum Beispiel an einer Alkoholüberdosis oder einer alkoholischen Leberzirrhose. Hinzu kommen zehntausende weitere Todesfälle durch Unfälle, Krebs und alkoholbedingte Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 starben »nur« 2788 Menschen bei Verkehrsunfällen.
Erfolgreiche Alkoholpolitik senkt Gesamtmortalität in den baltischen Ländern
Diese Studie hat gezeigt, dass Maßnahmen zur Alkoholkontrolle in den baltischen Ländern zwischen 2001 und 2020 zu einem Rückgang der Gesamtmortalität bei Männern geführt haben. Die Gesamtsterblichkeit bei Frauen ging ebenfalls zurück, allerdings nicht signifikant.
Die Ergebnisse dieser Studie tragen zu anderen früheren Studien bei, die die Wirksamkeit von Alkoholkontrollpolitiken bei der Verringerung der Gesamtmortalität zeigen, wenn die »Best Buys« der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für diese Politiken übernommen wurden.
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Neue Alkoholsteuer bringt Großbritannien näher an internationale Standards
Mit der Änderung der Alkoholsteuer zum 1. August 2023 wird die Besteuerung der verschiedenen Alkoholsorten auf der Grundlage des Alkoholgehalts in Volumenprozent (Vol.) vereinheitlicht.
Nach einem Jahrzehnt der Senkungen und des Einfrierens der Alkoholsteuer in Großbritannien wird der Steuersatz im August entsprechend der Inflation angehoben – eine international bewährte Praxis und eine Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Mit dem neuen System wird die Alkoholsteuer den Bierpreis für Kneipenbesucher*innen senken und den Preis für die meisten anderen alkoholischen Getränke in Supermärkten und anderen Verkaufsstellen erhöhen.
In den letzten Jahrzehnten ist Alkohol immer billiger geworden, was zu einer Krise der öffentlichen Gesundheit geführt hat.
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In diesem Zusammenhang ist die sinkende Erschwinglichkeit von Alkohol für die deutsche Gesellschaft positiv zu bewerten.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Preiserhöhungen als kosteneffektivste alkoholpolitische Lösung. Eine »Best Buy«-Alkoholpolitik ist eine Intervention, die kostengünstig, durchführbar und kulturell akzeptabel ist. Im SAFER Technical Package wird die Wirksamkeit der Besteuerung als beste alkoholpolitische Maßnahme wie folgt beschrieben:
Alkoholbesteuerung und Preispolitik gehören zu den wirksamsten und kostengünstigsten Maßnahmen zur Alkoholkontrolle. Die Erhöhung der Verbrauchsteuern auf alkoholische Getränke ist eine bewährte Maßnahme zur Verringerung alkoholbedingter Schäden und bringt den Regierungen Einnahmen, mit denen die wirtschaftlichen Kosten alkoholbedingter Schäden ausgeglichen werden können.«
Die Inflation hat zu einem Rückgang des Alkoholkonsums in Deutschland beigetragen.
Es gibt jedoch eindeutig mehr Spielraum für politische Initiativen zur Prävention alkoholbedingter Schäden. So gehören die Alkoholsteuern in Deutschland zu den niedrigsten in Europa. Wein wird gar nicht besteuert. Die Deutschen sind zunehmend desillusioniert über die tatsächlichen Auswirkungen des Alkoholkonsums. Die Bevölkerung selbst wünscht sich eindeutig Verbesserungen in der Alkoholpolitik.
Bessere Alkoholsteuern können Leben retten
Über 10.000 Menschenleben könnten jedes Jahr in Deutschland gerettet werden, wenn auf Alkohol bessere Steuern erhoben würden. Dies hat eine im Frühjahr veröffentlichte Studie des Regionalbüros Europa der Weltgesundheitsorganisation WHO gezeigt.
Generationswechsel: Junge Deutsche bleiben öfter alkoholfrei
Laut Medienberichten gibt es einen Generationsunterschied beim Alkoholkonsum. Jüngere Generationen trinken weniger Alkohol. Schlagzeilen über Menschen, Partys, Milieus und Trends, die alkoholfrei werden, sind in Deutschland an der Tagesordnung. Laut Dr. Jakob Manthey hat die Pandemie zu einer zunehmenden Entnormalisierung des Alkohols beigetragen:
Weniger Partys, weniger Disko – viele Jugendliche sind gar nicht in die Verlegenheit gekommen, mit dem Alkohol trinken anzufangen.«
Die hohe Zahl alkoholbedingter Todesfälle hänge auch mit Versorgungsmängeln in den Krankenhäusern während des COVID-19-Zeitraums zusammen, so Dr. Manthey gegenüber der Berliner Morgenpost. Lebererkrankungen seien zu spät behandelt und Entzugstherapien nicht eingeleitet worden. Das sei aber ein Problem der Älteren, der über 40-Jährigen. Die Jüngeren konsumierten weniger Alkohol.
Die Generation, die in den Jahren der Pandemie gelernt hat, soziale Kontakte zu knüpfen, hat auch gelernt, diese Erfahrungen ohne Alkoholeinfluss zu genießen. Die Zeit der Pandemie hat auch zu einem stärkeren Gesundheitsbewusstsein unter den Jugendlichen geführt. Die negativen Auswirkungen des Alkohols werden in diesem Bewusstsein deutlich.
Dieser Trend bei den neuen Generationen bedeutet auch, dass die Alkoholindustrie lernt, sich auf deren Wünsche einzustellen.
So gehen trendige Bars und Restaurants auf die Vorlieben der jüngeren Generationen ein, indem sie deutlich mehr alkoholfreie Getränke anbieten. Auch der Einzelhandel reagiert mit interessanteren und attraktiveren alkoholfreien Produkten als nur Wasser oder Limonade, die junge Kund*innen abschrecken würden. Auch in den Supermarktregalen finden sich immer mehr alkoholfreie Varianten beliebter Getränke.
Fast die Hälfte der jungen Erwachsenen in Deutschland lebt alkoholfrei
Eine neue YouGov-Analyse hat ergeben, dass fast die Hälfte der jungen Menschen in Deutschland, die der Generation Z angehören, alkoholfrei lebt.
Im Vergleich zu neun anderen europäischen Ländern leben in Deutschland mehr junge Menschen im Alter von 18 bis 24 Jahren alkoholfrei. Dies ist ein gesunder und positiver Trend in einem Land mit einer tief verwurzelten und weit verbreiteten Alkoholnorm, die von den jüngeren Generationen durch gesündere und integrativere soziale Normen ersetzt wird.
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Mehrheit der Deutschen für Alkohol-Werbeverbot und höheres Mindestabgabealter
Bild von Lance Anderson bei Unsplash
Werbung für alkoholische Getränke ist in Deutschland nahezu uneingeschränkt möglich. Alkoholwerbung fördert den Einstieg von Jugendlichen in den Alkoholkonsum. Jugendliche dürfen in Deutschland Bier und Wein bereits ab 16 Jahren trinken, in Begleitung von Erziehungsberechtigten schon ab 14 Jahren. Je früher junge Menschen ihr erstes alkoholisches Getränk zu sich nehmen, umso größer ist das Risiko, abhängig zu werden. Eine Umfrage des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) zeigt, dass sich die Bevölkerung einen besseren Schutz der Jugend vor Alkohol wünscht.
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Laut einer YouGov-Umfrage vom April 2022 lebt fast die Hälfte der jungen Erwachsenen in Deutschland alkoholfrei. Befragt wurden Erwachsene im Alter von 18 bis 24 Jahren.
Die Generation Z ist die demografische Gruppe, die auf die Millennials folgt und der Generation Alpha vorausgeht. Nach der Definition von Forschern und populären Medien umfasst sie Personen, die Mitte bis Ende der 1990er und in den 2010er Jahren geboren wurden. Die YouGov-Umfrage wurde in neun weiteren europäischen Ländern durchgeführt. Junge Erwachsene in Deutschland leben häufiger alkoholfrei als ihre Altersgenossen in anderen Ländern.
Deutsche wollen bessere Alkoholpolitik
Die Alkoholnorm verändert sich. Verschiedene Umfragen zeigen, dass die Deutschen eine Verbesserung der Alkoholpolitik befürworten, um Alkohol zu entnormalisieren und die Bevölkerung besser vor alkoholbedingten Schäden zu schützen.
In einer anderen YouGov-Umfrage sprachen sich 67 % der Befragten für Etiketten aus, die auf die Gesundheitsrisiken des Alkoholkonsums hinweisen. Nur 22 % der Befragten lehnten Warnhinweise auf Alkoholprodukten ab.
Anfang des Jahres berichteten wir über eine Umfrage, nach der 50 Prozent der Deutschen eine höhere Besteuerung von Alkohol befürworten. Die Umfrage wurde von Burkhard Blienert, dem Drogen- und Suchtbeauftragten der Bundesregierung, in Auftrag gegeben. Sie ergab auch, dass eine Mehrheit der Deutschen ein Werbeverbot für Alkohol befürwortet. Die Ergebnisse der Umfrage, an der 1.400 Personen teilnahmen, lassen sich wie folgt zusammenfassen
- 59 % befürworten ein vollständiges Werbeverbot für Bier, Wein und Spirituosen.
- Die Deutschen befürworten auch Kennzeichnungsvorschriften ähnlich denen für Tabak. 76 % sprechen sich für Warnhinweise auf Alkoholwerbung aus, die auf die Gesundheitsgefahren hinweisen.
- 50 % der Befragten sprechen sich für höhere Alkoholsteuern aus.
Umfrage: Zwei Drittel befürworten Warnhinweise auf Alkoholflaschen
Die Mehrheit der Bundesbürger*innen befürwortet laut einer Umfrage vom 12. Juni 2023 Warnhinweise auf alkoholischen Getränken. 67 Prozent der Befragten sprachen sich in einer Yougov-Umfrage für Hinweise auf Gesundheitsrisiken durch Alkoholkonsum aus.
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Fast jede*r Zweite für höhere Steuern auf Tabak und Alkohol
Fast jede*r zweite Bundesbürger*in findet, dass der Staat die Steuern auf Tabak und Alkohol zur Finanzierung der Krankenkassen erhöhen sollte. Jeweils 45 Prozent der Bundesbürger sind für die Erhöhung der sogenannten Genusssteuern. Auch unter regelmäßigen Raucher*innen befürwortet noch jede*r Fünfte (19 Prozent) eine Erhöhung der Tabaksteuer zugunsten der Krankenkassen. Ausgabefreudiger sind Alkoholkonsument*innen: Rund ein Drittel (34 Prozent) der Personen, die mindestens einmal pro Woche Alkohol trinken, zeigt sich mit Steuererhöhungen auf Alkohol einverstanden.
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Eine einmalige Chance für den Wandel
Mit uns berichtet Movendi International systematisch über die alkoholbedingten Schäden und die politische Situation in Deutschland. Die Beiträge machen deutlich, wie die Menschen und die Gesellschaft in Deutschland mit den grassierenden Alkoholschäden zu kämpfen haben.
Die Produkte und Praktiken der Alkoholkonzerne verursachen in Deutschland erhebliche soziale und wirtschaftliche Kosten:
- Jede zehnte Straftat wird nach Alkoholkonsum begangen.
- Alkohol ist auch bei etwa 5 % aller Verkehrsunfälle in Deutschland mitverantwortlich.
Die Schäden, die durch die Praktiken und Produkte der Alkoholindustrie verursacht werden, können durch die Umsetzung evidenzbasierter, kosteneffizienter und wirksamer alkoholpolitischer Lösungen, die von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung unterstützt werden, rückgängig gemacht werden.
Die Bundesregierung hat bereits gezeigt, dass sie die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der Alkoholpolitik erkannt hat. Diese Einsicht wird auch durch die gesellschaftliche Unterstützung für eine bessere Alkoholpolitik zum Schutz der Bevölkerung untermauert. Da die tief verwurzelten Alkoholnormen in Deutschland im Wandel begriffen sind, hat die Bundesregierung die einmalige Gelegenheit, in bewährte alkoholpolitische Lösungen zu investieren, die Gesundheit und sozialen Fortschritt fördern.
Ein Paradigmenwechsel ist überfällig
Rolf Hüllinghorst, Burkhard Blienert und Fredric Schulz, Foto: Frank Lindemann
Mit den Vereinbarungen zur Cannabispolitik im Koalitionsvertrag hat der Beauftragte für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert, bereits einen umfangreicheren Arbeitsauftrag als seine Vorgängerinnen abzuwickeln.
Deutsche wollen bessere Alkoholpolitik
Infostand der Guttempler-Jugend 1986 in Hamburg
Eine Umfrage des Bundesdrogenbeauftragten Burkhard Blienert (SPD) zeigt eine Mehrheit für ein Verbot von Alkoholwerbung.
Quelle: MOVENDI International
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