Kiste mit leeren Weinflaschen

Alkoholkonsum ist weltweit eine der Hauptursachen für Mortalität und Morbidität. Mögliche negative Auswirkungen der laufenden COVID-19-Pandemie auf den Alkoholkonsum wurden bereits diskutiert. Physische Distanzierungsmaßnahmen, Ausreisebeschränkungen und veränderte Arbeits- und Familienbedingungen, die zur Eindämmung der Pandemie vorgeschrieben waren, können zu einem Anstieg des Alkoholkonsums führen, insbesondere bei Personen mit einem Risiko für Substanzkonsumstörungen.

Bislang haben sich die meisten Studien, die den Zusammenhang zwischen der Pandemie und dem Konsumverhalten untersucht haben, auf retrospektive Bewertungen gestützt, obwohl die methodischen Mängel retrospektiver Alkoholkonsumbewertungen und psychologischer Variablen hinlänglich bekannt sind. So kann mit retrospektiven Methoden der Alkoholkonsum nicht zuverlässig erfasst werden, doch können Echtzeit-Bewertungen von Alkoholkonsum mehr Trinktage, einen höheren Alkoholkonsum, eine größere Anzahl von Alkoholexzessen und eine schnellere Alkoholkonsumrate im Vergleich zu retrospektiven Alkoholberichten erfassen.

Es gibt jedoch nach wie vor kaum Erkenntnisse über den Alkoholkonsum während der Pandemie, und die Untersuchung des Gesundheitsverhaltens im wirklichen Leben ist dringend erforderlich. Um die potenziellen Einflüsse von Pandemiemaßnahmen zu quantifizieren, haben wir daher Smartphone-basierte tägliche Bewertungen von Alkoholkonsum und dessen zeitliche (Wochenenden und Feiertage) und psychologische (soziale Isolation und Trinkabsicht) Korrelate im Alltag über einen Zeitraum von fünf Monaten bei Teilnehmer:innen, die die Kriterien für eine Alkoholkonsumstörung erfüllten, erfasst.

Autor:innen: Friederike Deeken, Markus Reichert, Hilmar Zech, Julia Wenzel, Friederike Wedemeyer, Alvaro Aguilera, Acelya Aslan, Patrick Bach, Nadja S. Bahr, Claudia Ebrahimi, Pascale C. Fischbach, Marvin Ganz, Maria Garbusow, Charlotte M. Großkopf, Marie Heigert, Angela Hentschel, Damian Karl, Patricia Pelz, Mathieu Pinger, Carlotta Riemerschmid, Annika Rosenthal, Johannes Steffen, Jens Strehle, Franziska Weiss, Gesine Wieder, Alfred Wieland, Judith Zaiser, Sina Zimmermann, Henrik Walter, Bernd Lenz, Lorenz Deserno, Michael N. Smolka, Shuyan Liu, Ulrich W. Ebner-Priemer, Andreas Heinz, Michael A. Rapp, und das ReCoDe Konsortium

Zitierung: Deeken F, Reichert M, Zech H, et al. Patterns of Alcohol Consumption Among Individuals With Alcohol Use Disorder During the COVID-19 Pandemic and Lockdowns in Germany. JAMA Netw Open. 2022;5(8):e2224641. doi:10.1001/jamanetworkopen.2022.24641

Quelle: JAMA Network

Datum der Veröffentlichung: 1. August 2022

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Muster des Alkoholkonsums von Personen mit Alkoholkonsumstörungen während der COVID-19-Pandemie und den Lockdowns in Deutschland

Abstrakt

Hintergrund

Alkoholkonsum führt weltweit zu Tod und Behinderung. Die laufenden Diskussionen über die möglichen negativen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den Alkoholkonsum müssen sich auf reale Fakten stützen. Ziel war es, zu untersuchen, ob Lockdown-Maßnahmen mit Alkoholkonsum und konsumbezogenen zeitlichen und psychologischen Mechanismen innerhalb der Person verbunden sind.

Methoden

Diese quantitative, intensive, längsschnittliche Kohortenstudie rekrutierte 1743 Teilnehmer aus drei Standorten vom 20. Februar 2020 bis zum 28. Februar 2021. Die Daten wurden vor und während des zweiten Lockdowns der COVID-19-Pandemie in Deutschland bereitgestellt: vor dem Lockdown (2. Oktober bis 1. November 2020); leichter Lockdown (2. November bis 15. Dezember 2020); und harter Lockdown (16. Dezember 2020 bis 28. Februar 2021).

Tägliche Bewertungen des Alkoholkonsums (Hauptergebnis), die während der drei Lockdown-Phasen erfasst wurden (Hauptvariable), sowie zeitliche (Wochenenden und Feiertage) und psychologische Korrelate (soziale Isolation und Alkoholkonsumabsicht).

Von den 1743 gescreenten Teilnehmer:innen wurden 189 (119 [63,0 %] männlich; medianes [IQR] Alter, 37 [27,5-52,0] Jahre) mit mindestens zwei Kriterien für eine Alkoholkonsumstörung (Alkoholkonsumstörung) gemäß dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (Fifth Edition), jedoch ohne die Notwendigkeit eines medizinisch überwachten Alkoholentzugs, eingeschlossen. Diese Personen gaben von Oktober 2020 bis Februar 2021 14 694 Smartphone-Bewertungen ab.

Ergebnisse

Die mehrstufige Modellierung ergab einen signifikant höheren Alkoholkonsum (Gramm Alkohol pro Tag) an Wochenendtagen gegenüber Wochentagen (β = 11,39; 95% CI, 10,00-12,77; P < .001). Der Alkoholkonsum lag an Weihnachten (β = 26,82; 95% CI, 21,87-31,77; P < .001) und Silvester (β = 66,88; 95% CI, 59,22-74,54; P < .001) über dem Gesamtdurchschnitt. Während des harten Lockdowns war die wahrgenommene soziale Isolation signifikant höher (β = 0,12; 95% CI, 0,06-0,15; P < .001), aber der Alkoholkonsum war signifikant niedriger (β = -5,45; 95% CI, -8,00 bis -2,90; P = .001). Unabhängig vom Lockdown war die Absicht, weniger Alkohol zu trinken, mit einem niedrigeren Alkoholkonsum verbunden (β = -11,10; 95% CI, -13,63 bis -8,58; P < .001). Bemerkenswert ist, dass die Unterschiede im Alkoholkonsum zwischen Wochenend- und Wochentagen sowohl während des harten Lockdowns (β = -6,14; 95% CI, -9,96 bis -2,31; P = .002) als auch bei Teilnehmer:innen mit schwerer Alkoholkonsumstörung (β = -6,26; 95% CI, -10,18 bis -2,34; P = .002) abnahmen.

Schlussfolgerungen

Als wesentliche Ergänzung zu der teilweise widersprüchlichen wissenschaftlichen und öffentlichen Debatte über die Auswirkungen von COVID-19 auf das Gesundheitsverhalten liefert diese fünfmonatige Studie, die eine innovative Hochfrequenzverfolgung des Alkoholkonsums bei Teilnehmern mit überwiegend leichter bis mittelschwerer Alkoholkonsumstörung umfasst, reale Belege dafür, dass der Alkoholkonsum bei den Studienteilnehmer:innen während des harten Lockdowns der COVID-19-Pandemie in Deutschland insgesamt abnahm.

Unabhängig von den Maßnahmen der Pandemie wurden kontextuelle und psychologische Korrelate des Alkoholkonsums identifiziert. Die Ergebnisse zeigten einen klaren Wochenend-Konsumzyklus mit stark erhöhtem Alkoholkonsum an Wochenenden und Feiertagen sowie eine enge Kopplung von Konsumabsicht und Alkoholkonsum. Diese Ergebnisse können Informationen für Präventions- und Therapiemaßnahmen bei leichter bis mittelschwerer Alkoholkonsumstörung liefern, beispielsweise durch die Identifizierung der Konsumabsicht als Ziel von Verhaltensinterventionen selbst bei Hochrisikopersonen und als potenzieller Verhaltensmechanismus, der unabhängig von Lockdown-Maßnahmen erscheint.

Darüber hinaus fanden wir in explorativen Analysen eine Abflachung des Wochenend-Konsumzyklus in Abhängigkeit von der Schwere der Alkoholkonsumstörung und den Lockdown-Maßnahmen. Dieses Ergebnis könnte auf ein Muster des Verlusts und der Wiedererlangung der Kontrolle über den Alkoholkonsum hindeuten, wobei Personen mit schwerer Alkoholkonsumstörung möglicherweise weniger zwischen Arbeitstagen und arbeitsfreien Tagen unterscheiden.

Gleichzeitig könnte der geringere Alkoholkonsum an Wochenendtagen während des harten Lockdowns, bei dem maximal fünf Personen zusammenkommen durften und Alkoholkonsum in öffentlichen Bereichen verboten war, darauf hindeuten, dass die Teilnehmer:innen aufgrund kontextueller Einflüsse weniger Alkohol konsumierten, was insbesondere für Personen mit sozial bedingtem Konsumverhalten relevant ist.

Es wurde festgestellt, dass soziale Interaktion und/oder soziale Isolation in verschiedenen Alterskohorten mit Alkoholkonsum in Verbindung stehen. Man könnte spekulieren, dass Kontaktbeschränkungen den geringeren Unterschied zwischen Alkoholkonsum an Wochentagen und Wochenenden bei Teilnehmer:innen mit schwerer Alkoholkonsumstörung teilweise erklären könnten, da diese nicht nur in sozialen Kontexten, sondern auch allein Alkohol trinken können. Daher könnten Wochenend-Konsumzyklen als vielversprechender veränderungssensitiver Marker für den Verlust und die Wiedererlangung der Kontrolle über den Alkoholkonsum dienen, ein Vorschlag, der in weiteren Präventions- und Interventionsstudien untermauert werden muss.

Einschränkungen

Diese Studie weist einige Einschränkungen auf, und einige Aspekte dieser Arbeit sollten in künftigen Forschungsarbeiten weiter verfeinert werden.

    1. Da alle Daten während der COVID-19-Pandemie erhoben wurden, ist die Verallgemeinerbarkeit unserer Ergebnisse begrenzt. Darüber hinaus handelt es sich bei unserer Stichprobe um eine nicht repräsentative, aber selektive Zufallsstichprobe von hauptsächlich männlichen Personen mit leichter bis mittelschwerer Alkoholkonsumstörung, was die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse weiter einschränken könnte. Studien zeigen jedoch, dass es bis zu 19 % der unbehandelten Patient:innen mit Alkoholabhängigkeit ohne professionelle Hilfe gelingt, die Kontrolle über den Alkoholkonsum wiederzuerlangen und abstinent zu werden oder ihren Alkoholkonsum erheblich zu reduzieren. Im Gegensatz dazu gelingt es einem kleinen Prozentsatz von Patient:innen mit schwerer Alkoholabhängigkeit, die entgiftet werden müssen, ihren Alkoholkonsum langfristig unter Kontrolle zu halten. Aus diesem Grund haben wir uns auf das breite Spektrum von Patient:innen mit Alkoholkonsumstörung konzentriert, bei denen keine stationäre Entgiftung erforderlich ist. Diese Stichprobenstrategie ermöglichte es uns, uns auf die Aspekte des Verlusts und der Wiedererlangung der Kontrolle über den Alkoholkonsum zu konzentrieren. Genauer gesagt wollten wir eine Stichprobe von Personen untersuchen, die in Bezug auf ihren Alkoholkonsum ein gewisses Risiko aufweisen, aber noch nicht manifest alkoholabhängig sind. Man ist versucht zu vermuten, dass diese Zielgruppe im Vergleich zu klinischen Patient:innen oder der Allgemeinbevölkerung anfälliger für Lockdown-Einflüsse auf das Trinkverhalten sein könnte.
    2. Da wir die zweite COVID-19-Phase in Deutschland untersucht haben, kann die Phase vor dem Lockdown auch als eine Phase nach dem Lockdown angesehen werden, was die Untersuchung der Auswirkungen des pandemischen Lockdowns auf das Alkoholkonsumverhalten erschweren könnte. Obwohl unklar ist, ob dies zu einer Über- oder Unterschätzung der Assoziationen zwischen Lockdown-Maßnahmen und Alkoholkonsum führen würde, deuten unsere Daten darauf hin, dass dies keinen Einfluss auf die Gültigkeit der Ergebnisse hatte. Die Daten zeigen eine höhere soziale Isolation während des harten Lockdowns im Vergleich zu vor dem Lockdown, ein plausibler und erwarteter Effekt des Lockdowns (das heißt, die Menschen fühlten sich als Folge des Lockdowns sozial isolierter). Darüber hinaus zeigten Robustheitsprüfungen eindeutig, dass die Konsumraten in der Phase nach dem Lockdown (9. Mai bis 30. September 2021) vergleichbare Niveaus wie in der Phase vor dem Lockdown erreichten, was die Annahme stützt, dass wir tatsächlich die Auswirkungen des Lockdowns auf den Alkoholkonsum untersucht haben.
    3. Drittens gab es eine natürliche enge Kopplung zwischen dem Beginn des harten Lockdowns, der Weihnachtszeit und dem Jahreswechsel, der möglicherweise gute Neujahrsvorsätze mit sich bringt, was den Alkoholkonsum beeinflusst haben könnte. Bei statistischer Kontrolle dieser Assoziationen mit Feiertagen und Vorsätzen fanden wir jedoch immer noch einen signifikanten Rückgang statt des erwarteten Anstiegs des Alkoholkonsums während des strengen Lockdowns.
    4. Obwohl eine Reihe von ergänzenden Analysen in Bezug auf potenzielle Einflüsse zwischen den Personen, die Lockdown-Parametrisierung und die Ergebnisverteilung die Robustheit der Ergebnisse bestätigten, schließt unsere naturalistische Beobachtung kausale Schlussfolgerungen aufgrund potenziell verborgener dritter Variablen zu spezifischen Auslösern von Veränderungen des Alkoholkonsums aus; daher sind experimentelle Manipulationen im Alltag dringend erforderlich, um positive Einflüsse von Konsumabsichten auf den Alkoholkonsum zu bestätigen.

Quelle: JAMA Network Open

Übersetzt mit www.DeepL.com