Blick über eine Blumenwiese auf das Matterhorn. Darin eingeblendet die Titelseite des Schweizer Suchtpanoramas 2024.

Nicht erst seit der Corona-Pandemie hat sich die psychische Gesundheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen insgesamt verschlechtert. Besonders betroffen sind Mädchen und junge Frauen. Gleichzeitig hat die Häufigkeit des Suchtmittelkonsums bei Jugendlichen teils zugenommen, teils verharrt sie auf zu hohem Niveau.

Der Anteil gefährdeter Jugendlicher hat zugenommen und diese neigen vermehrt dazu, zu Suchtmitteln wie Nikotinprodukten zu greifen oder sich in soziale Medien zu flüchten. Sucht Schweiz stellt im heute veröffentlichten »Schweizer Suchtpanorama 2024« fest, dass der Jugendschutz nicht ausreicht. Die Politik muss einen Gang zulegen: Die Prävention muss verstärkt und verbessert und die Jugendlichen müssen gestärkt werden.

Der Fachverband Sucht fasst den Bericht zusammen:

  • Die psychische Gesundheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat sich verschlechtert. Dies gilt insbesondere für Mädchen und junge Frauen.
  • Ein schlechtes psychisches Wohlbefinden, Stress und ein schlechter Gesundheitszustand begünstigen den Konsum von Alkohol, (elektronischen) Zigaretten und Medikamenten.
  • Der Zigarettenkonsum ist nicht rückläufig und es hat sich eine neue Gruppe von Jugendlichen gebildet, die E-Zigaretten und Snus konsumieren. In dieser Gruppe sind Mädchen überrepräsentiert.
  • Die problematische Nutzung sozialer Netzwerke hat zugenommen. Bei den Jungen liegt der Anteil bei 4 %, bei den Mädchen bei 10 %.
  • Etwa die Hälfte der 15-Jährigen nutzt soziale Netzwerke, um negativen Gefühlen zu entfliehen.

Alkohol in der Schweiz

Seit 1992 ist der Anteil der Personen, die täglich Alkohol trinken, um gut die Hälfte zurückgegangen. Dafür trinken Männer und Frauen bei bestimmten Gelegenheiten mehr Alkohol: 11 % der Frauen und 19 % der Männer betrinken sich mindestens einmal im Monat.

Obwohl Alkohol neben Tabak aufgrund seiner hohen Verbreitung die meisten Schäden verursacht und die meisten Suchtbehandlungen erfordert, ist kein politischer Gestaltungswille erkennbar. In den Kantonen stehen die Zeichen teilweise sogar auf Deregulierung.

Notwendig wären präventive Maßnahmen, die den heutigen Konsummustern entsprechen. Dazu gehören zeitliche Verkaufsbeschränkungen in der Nacht, Mindestpreise gegen Billigalkohol oder ein Ausschankverbot an Betrunkene.

Neue Daten aus der HBSC-Schüler*innenstudie (2022) zeigen, dass 43 % der 15-jährigen Jungen und ebenso viele gleichaltrige Mädchen in den letzten 30 Tagen mindestens einmal Alkohol getrunken haben; diese Prävalenzen sind ähnlich hoch wie 2018. Im Vergleich zu 2018 scheint die 30-Tage-Prävalenz bei den 13-Jährigen gestiegen zu sein (2022: 17 %). Das Rauschtrinken bleibt auf etwa gleich hohem Niveau: Etwa ein Viertel der 15-Jährigen hat mindestens einmal in den letzten 30 Tagen fünf oder mehr alkoholische Getränke bei einer Gelegenheit getrunken.

Veränderung des Konsumverhaltens in der Allgemeinbevölkerung

Die neuesten Daten (2022) der Schweizerischen Gesundheitsbefragung (SGB) zeigen für die Bevölkerung ab 15 Jahren, dass der chronisch riskante Konsum im Laufe der Jahre tendenziell abgenommen hat, während das Rauschtrinken (episodisch riskanter Alkoholkonsum) häufiger geworden ist:

  • Zwischen 1997 und 2022 ist der chronisch riskante Konsum bei den Männern (von 8 % auf 4 %) und bei den Frauen (von 5 % auf 3 %) zurückgegangen.
  • Der Anteil der Personen, die sich mindestens einmal im Monat betrinken, ist zwischen 2007 und 2017 bei den Frauen von 6 % auf 11 % und bei den Männern von 16 % auf 21 % gestiegen und seitdem relativ stabil geblieben (2022: 11 % beziehungsweise 19 %).

Zwischen 1992 und 2022 ist der Anteil der Personen, die täglich Alkohol konsumieren, sowohl bei den Männern (von 30 % auf 12 %) als auch bei den Frauen (von 11 % auf 5 %) um gut die Hälfte gesunken. Dieser Rückgang ist in allen Altersgruppen unter 65 Jahren zu beobachten. Es handelt sich also um ein Konsummuster der heute älteren Generationen, das allmählich abnimmt. Der Anteil der alkoholfrei lebenden Frauen ist deutlich höher als der der Männer (21 % gegenüber 13 %). Diese Anteile sind ähnlich wie vor zehn Jahren.

Im Jahr 2022 betrug der Alkoholverkauf 8,4 Liter reinen Alkohols pro Person der Wohnbevölkerung ab 15 Jahren (2021: 8,5 Liter).

50 %

Hauptproblem Alkohol

Das Monitoringsystem act-info zeigt, dass im Jahr 2022 in der Schweiz 50 % der Personen, die in teilnehmende Suchthilfeinstitutionen eintraten, hauptsächlich wegen Alkoholkonsums behandelt wurden. Das Durchschnittsalter lag bei rund 45 Jahren. Bei 35,5 % der Beratungen über die Online-Plattform SafeZone im Jahr 2023 war Alkohol ein Thema (29 % Alkohol als alleinige Substanz; 6,5 % Alkohol + andere Substanz/en).

Testkäufe: Illegale Verkäufe an Jugendliche bleiben hoch

Die nationalen Ergebnisse (2022) der Testkäufe an physischen Verkaufsstellen zeigen eine Verbesserung im Vergleich zum Zeitraum der Pandemie. Insgesamt wurden in 27,2 % der Fälle Bier, Wein oder Spirituosen illegal an Minderjährige verkauft (2021: 33,5 %). Online können Jugendliche in den allermeisten Fällen Alkohol kaufen.

Eine Studie von Sucht Schweiz hat die Anreize im Zusammenhang mit Alkohol, Tabak- und Nikotinprodukten online und auf sechs typischen Wegen von 16- bis 18-Jährigen in der Stadt Genf nachgezeichnet. Für Alkohol wurden im öffentlichen Raum durchschnittlich 31 Anreize pro Tag gezählt. Was den digitalen Raum betrifft, gab es durchschnittlich 13 Anreize während 7 Stunden Online-Zeit.

Alle 65 Meter ein Hinweis auf Alkohol, Tabak oder Nikotin

Kinder überqueren eine städtische Straße auf einem Zebrastreifen.

Eine Studie von Sucht Schweiz hat die Anreize für Alkohol, Tabak und Nikotinprodukte auf den Wegen von 16- bis 18-jährigen Jugendlichen in der Stadt Genf nachgezeichnet. Auf dem Weg von zu Hause zur Schule oder zum Ausbildungsplatz begegnen sie durchschnittlich alle 65 Meter einem Konsumanreiz. Im digitalen Raum sind es an einem Wochentag durchschnittlich 10 Anreize. Die von der Gesundheitsdirektion des Kantons Genf in Auftrag gegebene Studie zeigt die erschreckende Normalität von Alkohol, Tabak und Nikotinprodukten im Alltag der Jugendlichen.

Alkohol gefährdet Menschen im Straßenverkehr

30 %

mehr schwere alkoholbedingte Verletzungen im Straßenverkehr

Bei den Verurteilungen wegen Widerhandlungen gegen das Straßenverkehrsgesetz hat das Fahren in fahrunfähigem Zustand (Alkohol, aber auch illegale Drogen und psychoaktive Medikamente am Steuer) gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Bei diesen Delikten hat das Fahren in angetrunkenem Zustand bei den Verurteilungen am stärksten zugenommen. Diese Delikte sind im Pandemiejahr 2020 stark zurückgegangen, haben aber inzwischen wieder das Niveau von 2019 erreicht. Im Jahr 2022 starben in der Schweiz 28 Personen bei alkoholbedingten Unfällen. 432 Personen wurden schwer verletzt. Diese Zahl ist gegenüber 2018 um rund 30 % gestiegen.

Krebsrisiko zu wenig bekannt

Nur 35 %

wissen, dass Alkohol Brustkrebs erzeugt

Gemäß der Umfrage Gesundheit und Lebensstil 2022 kennt die Schweizer Bevölkerung (ab 15 Jahren) die Risiken des Alkoholkonsums recht gut. Eine Ausnahme bilden die Krebsrisiken: Nur 35 % der Befragten wissen, dass ein Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Brustkrebs bei Frauen bestehen kann. Die Auswirkungen auf Mund- und Rachenkrebs (52 %) oder Dickdarm- und Mastdarmkrebs (65 %) sind besser bekannt, jedoch nicht in dem Maße wie andere Krankheiten (beispielsweise Lebererkrankungen).

Rund 87 Prozent der befragten Frauen im Alter von 25 bis 44 Jahren wussten in der gleichen Befragung sicher, dass Alkoholkonsum während der Schwangerschaft den Fötus schädigen kann. Anlässlich des International FASD Awareness Day vom 9. September 2023 rief Sucht Schweiz erneut dazu auf, während der Schwangerschaft keinen Alkohol zu trinken.

Die von Sucht Schweiz ausgewertete Bevölkerungsbefragung, die in der zweiten Hälfte Februar 2023 durchgeführt wurde, zeigt, dass der »Dry January« (alkoholfreier Januar) immer bekannter wird. Mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung kennt die Kampagne und rund 70 Prozent stehen ihr eher oder sehr positiv gegenüber.

Der Schweiz fehlt das Engagement zur Alkoholkontrolle

Das Schweizer Parlament befasst sich seit geraumer Zeit nicht mehr mit dem Thema Alkohol, was angesichts der Problemlage bedenklich ist. Auf kantonaler Ebene sind sogar vereinzelte Bestrebungen zur Deregulierung im Gange. So will der Kanton Waadt im Rahmen einer parlamentarischen Initiative den Alkoholverkauf an Tankstellen zulassen und damit der nationalen Gesetzgebung folgen. Der Kanton Jura hat dies bereits im Dezember 2022 beschlossen. Und der Kanton Zug will das Verbot des Alkoholausschanks an Betrunkene aufheben. Man vertraue auf die Eigenverantwortung der Konsumierenden und das Verantwortungsbewusstsein des Gastgewerbes. Argumente, die von Präventionsfachleuten kritisiert werden. Wie viel Eigenverantwortung kann den Betrunkenen zugemutet werden?

Die Schweizer Aktionswoche 2023 für Kinder von suchtkranken Eltern widmete sich der Frage, was das Umfeld tun kann. Zudem zeigt eine neue Studie von Sucht Schweiz, wie wichtig Maßnahmen zur Unterstützung suchtkranker Mütter und ihrer Kinder sind. Die Studie nennt verschiedene strukturelle Verbesserungen, die nötig wären. Dazu gehören mehr spezialisierte Einrichtungen, in denen Mütter mit ihren Kindern begleitet werden, oder eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Institutionen.

Am 25. Mai 2023 fand der Nationale Aktionstag Alkoholprobleme statt. Unter dem Motto »Alkohol gegen Stress – Stress mit Alkohol« lud dieser Tag die Bevölkerung ein, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Gleichzeitig machten die regionalen Suchtberatungsstellen auf ihre Präventions- und Hilfsangebote aufmerksam.

Suchtkranke Mütter waren häufig selbst Töchter suchtkranker Mütter

Rückenansicht einer Frau vor roter Klinkerwand. Dazu das Zitat von Anna, 42 Jahre, Mutter mit Suchterkrankung: Schon als ich sechs Jahre alt war, habe ich in der Bar den Schaum vom Bier meines Vaters getrunken.

Zum ersten Mal wurden in der Schweiz in einer Studie die Erfahrungen suchtkranker Mütter untersucht. Es zeigt sich, dass sie oft stigmatisiert und zu wenig unterstützt werden. Dies erschwert auch die Situation ihrer Kinder.

Alkohol gegen Stress – Stress mit Alkohol

Text: Nationaler Aktionstag Alkoholprobleme. Alkohol gegen Stress - Stress mit Alkohol

Am 25. Mai 2023 findet in der Schweiz der Nationale Aktionstag Alkoholprobleme statt. Unter dem Motto »Alkohol gegen Stress – Stress mit Alkohol« lädt dieser Tag die Bevölkerung ein, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Gleichzeitig machen die regionalen Suchtfachstellen auf ihre Präventions- und Hilfsangebote aufmerksam.

Alkoholpolitische Forderungen von Sucht Schweiz

Titelseite des Schweizer Suchtpanoramas 2024.

Alkohol und seine Risiken werden im Allgemeinen verharmlost und sind nur schwer auf die politische Agenda zu setzen. Sucht Schweiz fordert daher ein Handeln, um weitere Schäden und menschliches Leid zu verhindern:

  • Mindestpreise gegen Billigalkohol
    Mindestpreise können Risikogruppen (Jugendliche, Personen mit problematischem Konsum) schützen. Dieses von Sucht Schweiz seit langem geforderte Anliegen genießt in der Bevölkerung eine hohe Akzeptanz. Gemäß der zweiten Umfrage Gesundheit und Lebensstil 2022 sind 48 % der Befragten der Meinung, dass billiger Alkohol durch Mindestpreise verteuert werden sollte (32 % sind dagegen).
  • Werbung darf Jugendliche nicht erreichen
    Es braucht wirksamere Einschränkungen bei der Alkoholwerbung, welche Jugendliche erreicht. Zwar ist Werbung, die sich gezielt an Jugendliche unter 18 Jahren richtet, verboten. Die heutige Regelung greift aber zu kurz, da Alkoholwerbung meist auch Kinder und Jugendliche erreicht.
  • Kein Alkoholverkauf an Kinder und Jugendliche
    Um den unerlaubten Verkauf von Alkohol an Kinder und Jugendliche einzudämmen, sind verschiedene Anstrengungen nötig: Ein System mit automatischer Ausweiskontrolle wie in Finnland oder Schottland bietet sich auch für die Schweiz an. Zudem braucht es eine gute Ausbildung und technische Hilfsmittel zur Unterstützung des Verkaufs- und Servicepersonals. Im Online-Bereich ermöglicht die Technologie das direkte Scannen des Personalausweises. Die gesetzliche Lösung für Testkäufe muss endlich folgen.
  • Nachts kein Alkoholverkauf im Takeaway
    Sucht Schweiz fordert die Einführung eines nationalen Nachtverkaufsverbots für Alkohol. Da vor allem junge Menschen oft spontan alkoholische Getränke kaufen und konsumieren, erweist sich die zeitliche Einschränkung des nächtlichen Verkaufs als wirksame Präventionsmaßnahme. Die Kantone Genf und Waadt haben damit gute Erfahrungen gemacht. Insbesondere bei Jugendlichen konnten die Spitaleinweisungen wegen Alkoholvergiftungen um bis zu 30 % reduziert werden.
  • Nationale Sensibilisierungskampagne an der Zeit
    Für eine nationale Sensibilisierungskampagne über die Risiken des Alkohols fehlen die Mittel. Das muss sich ändern. Denn es braucht die gesellschaftliche Debatte über die enorme Problematik des Konsums und den politischen Gestaltungswillen, um die Schäden einzudämmen.

Quelle: Medienmitteilung von Sucht Schweiz