Ob Alkohol, Nikotin, illegale Drogen, Geldspiel oder digitale Medien: Hunderttausende von Schweizer:innen kämpfen mit Suchtproblemen. Trotzdem muss das Bundesamt für Gesundheit im Suchtbereich ein Viertel der Gelder einsparen. Dies geht zulasten der Betroffenen und deren Angehörigen und verursacht massive Mehrkosten.
Die von Bundesrat und Parlament beschlossenen Sparmaßnahmen führen zu massiven Kürzungen beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). In den Bereichen Sucht und nicht übertragbare Krankheiten (NCDs) sind im Jahr 2025 knapp ein Viertel der Budgets betroffen. Da die Probleme bereits heute zunehmen, sind diese Entscheidungen unverantwortlich. Jeder Abbau im Suchtbereich verschärft die Probleme und verursacht Kosten, die die Einsparungen bei Weitem übersteigen werden. Die Suchtfachorganisationen in der Schweiz schlagen Alarm: Es ist nicht die Zeit für Budgetkürzungen in der Suchtprävention und der Suchthilfe. Dazu wird heute eine nationale Petition lanciert.
In der Schweiz sind heute schätzungsweise 250.000 Menschen alkoholabhängig, mehrere hunderttausend Menschen sind von Zigaretten und anderen Nikotinprodukten abhängig und mehrere zehntausend Menschen konsumieren täglich illegale Drogen. Der Substanzkonsum verursacht jährlich mehr als 11.000 vermeidbare Todesfälle in der Schweiz. Rund 300.000 Personen zeigen ein problematisches Spielverhalten. Suchtkrankheiten verursachen einen volkswirtschaftlichen und sozialen Schaden von rund acht Milliarden Franken pro Jahr.
Ausgabensenkung bedeutet Kostensteigerung
Nachweislich reduzieren Prävention und Suchthilfe Leid und Kosten: Laut einer Studie spart jeder in die Prävention investierte Franken im Alkoholbereich 23 Franken an indirekten Kosten, im Tabakbereich sogar 41 Franken (Jeanrenaud, 2010). Trotzdem wurde beschlossen, knapp ein Viertel des Budgets in den Bereichen Sucht und nicht übertragbare Krankheiten (NCDs) zu streichen. Dies wird unweigerlich zu mehr Suchtproblemen, mehr Leid bei Betroffenen und ihren Angehörigen sowie zu höheren volkswirtschaftlichen Kosten führen. Die Kosten werden die eingesparte Summe um ein Vielfaches übersteigen.
Auch die Bevölkerungsumfragen zu Konsumprävalenzen sollen aufgrund von Sparmaßnahmen stark reduziert und im Bereich des Geld- und Glücksspiels sogar komplett abgeschafft werden. Dadurch fehlen dem Suchtbereich wichtige Informationen über das Ausmaß der Probleme und das Auftreten neuer Suchtphänomene. Suchtprävention und ‑hilfe werden so zu einem Blindflug, was ihre Möglichkeiten weiter einschränkt und uns eines Warnsystems für neue Entwicklungen beraubt.
Crack-Krise, Fentanyl-Bedrohung und weitere Herausforderungen – jetzt handeln!
Generell verschlechtert sich die psychische Gesundheit von Jugendlichen. Die Konsumprävalenzen stagnieren oder steigen je nach Substanz und Alter sogar an. Zudem kommen ständig neue legale und illegale Produkte auf den Markt. Auch bei den Verhaltenssüchten zeigt sich eine zunehmende Problemlast, die durch digitale Anwendungen verstärkt wird. Diese werden zunehmend so konzipiert, dass ein möglichst großes Abhängigkeitspotenzial entsteht.
Die Städte und Suchtfachleute sehen sich darüber hinaus mit einer seit 30 Jahren nicht dagewesenen Herausforderung konfrontiert: der Crack-Krise. Diese zeigt sich in einer zunehmenden Verbreitung des öffentlich sichtbaren Konsums sowie in komplexen und prekären Lebenssituationen der Betroffenen. Eine weitere zukünftige Herausforderung ist die mögliche Bedrohung durch synthetische Opioide (wie Fentanyl) für die Schweiz. Um diesen Entwicklungen zu begegnen, ist eine vorausschauende Suchtstrategie erforderlich – ebenso wie die entsprechenden finanziellen Mittel. Sparen in diesem Bereich würde bedeuten, die Kontrolle zu verlieren und die Folgen auf die Betroffenen und die gesamte Gesellschaft abzuwälzen.
Um die aktuellen Herausforderungen anzugehen, sind eine strategische Vision und eine suchtpolitische Zielsetzung des Bundes erforderlich. In den 1990er Jahren, als die Schweiz eine schwere Krise im Zusammenhang mit dem Heroinkonsum durchlebte, haben sich der Bundesrat und die Verwaltung engagiert. Gemeinsam mit den Fachpersonen vor Ort, den Forschenden sowie den Kantonen und Städten suchten sie nach Lösungen. Durch diese koordinierte Herangehensweise konnte die Vier-Säulen-Politik entstehen und die Krise wurde bewältigt.
Keine Kürzungen, Stärkung der Strategie und Lancierung einer Petition
Die Suchtfachorganisationen schlagen heute Alarm: Einsparungen im Suchtbereich sind jetzt besonders kontraproduktiv. Im Gegenteil: Wir brauchen eine Stärkung der Nationalen Strategie Sucht sowie der Mittel, die für die Suchtbekämpfung und die Unterstützung Betroffener eingesetzt werden. Um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen, ist eine ambitionierte Bundespolitik mit einer klaren strategischen Vision erforderlich. Leider ist die Sparübung nicht auf das Jahr 2025 beschränkt: Der Bundesrat plant bereits jetzt weitere Kürzungen für die kommenden Jahre – insbesondere im Rahmen seines Entlastungsprogramms 2027.
In einer Zeit, in der die Herausforderungen im Suchtbereich allgegenwärtig sind, ist es ein Fehler, Sparmaßnahmen umzusetzen und die große Erfahrung aus der Suchtpolitik und ‑wissenschaft der letzten 40 Jahre zu ignorieren. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, starten Sucht Schweiz und vier weitere Verbände heute eine Petition bei der Fachwelt und der Bevölkerung. Sie hoffen auf Ihre Unterstützung!
Alle 65 Meter ein Hinweis auf Alkohol, Tabak oder Nikotin
Eine Studie von Sucht Schweiz hat die Anreize für Alkohol, Tabak und Nikotinprodukte auf den Wegen von 16- bis 18-jährigen Jugendlichen in der Stadt Genf nachgezeichnet. Auf dem Weg von zu Hause zur Schule oder zum Ausbildungsplatz begegnen sie durchschnittlich alle 65 Meter einem Konsumanreiz. Im digitalen Raum sind es an einem Wochentag durchschnittlich 10 Anreize. Die von der Gesundheitsdirektion des Kantons Genf in Auftrag gegebene Studie zeigt die erschreckende Normalität von Alkohol, Tabak und Nikotinprodukten im Alltag der Jugendlichen.
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Das Parlament hält mit dem Volkswillen nicht Schritt
Mit dem deutlichen Ja zur Initiative »Kinder ohne Tabak« hat die Schweizer Bevölkerung gezeigt, dass sie genug hat von der Tabakwerbung, die Jugendliche in die Sucht treibt. Ebenso deutlich war das Nein der Genossenschafter*innen zum Alkoholverkauf in der Migros.
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Quelle: Medienmitteilung von Sucht Schweiz