Finsterer Sensenmann entsteigt einem weißen Nebel.

Die Lebenserwartung in Deutschland ist im internationalen Vergleich auffallend niedrig, obwohl sich Deutschland eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt leistet. Angesichts dieses ernüchternden Ergebnisses fordert die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), endlich mehr auf Prävention und Gesundheitskompetenz zu setzen. Dazu gehören: Stärkung der Hausarztmedizin, Aufwertung der sprechenden Medizin und damit mehr Gesundheitsberatung, strengere Regeln im Umgang mit Tabak- und Alkoholwerbung, gesundes Essen in Schulen und Kitas, mehr Sportangebote und vieles mehr.

Präventionskrise in Deutschland

Bei den Ausgaben für das Gesundheitssystem liegt Deutschland auf den vorderen Plätzen, bei der Lebenserwartung auf den hinteren. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock, die die Lebenserwartung in sechs einkommensstarken Ländern vergleicht. Die Unterschiede sind beträchtlich: In den bestplatzierten Ländern (Frauen: Spanien, Männer: Schweiz) werden die Menschen im Durchschnitt mehrere Jahre älter als in Deutschland. In Deutschland, so die Studie, falle vor allem der Anstieg der Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf.

Selbst kleine Mengen Alkohol können Blutdruck und Herz schädigen

Blutdruckmessgerät auf Schreibtisch

Ein brandneuer Bericht über Alkohol und Blutdruck fasst die besten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse zusammen und bietet einen aktuellen Überblick über die wesentliche kausale Rolle des Alkohols bei der Entstehung von Bluthochdruck und verwandten Krankheiten. Movendi International befasst sich mit dem Potenzial der Alkoholpolitik zur Verhinderung von Bluthochdruck und damit zusammenhängenden Krankheiten und schlägt drei konkrete Lösungen vor.

Weltherzverband widerspricht dem »Mythos«, dass Alkohol das Leben verlängern kann

Herzschlag-Frequenzkurve mit Herzsymbol

Am 20. Januar 2022 veröffentlichte der Weltherzverband (WHF) ein Positionspapier, über das in den Medien ausführlich berichtet wurde und in dem es heißt:

Durch Alkoholkonsum steigt das Risiko für alle wichtigen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einschließlich hypertensiver Herzerkrankungen, Kardiomyopathie, Vorhofflimmern und ‑flattern sowie Schlaganfall. Einige Forscher:innen, die Alkoholindustrie und die Medien verbreiten seit über 30 Jahren den Mythos, dass Alkohol das Leben verlängert, indem er vor allem die Gefahr von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringert.«

Gerade angesichts der immensen Ressourcen, die hierzulande für das Gesundheitswesen aufgewendet werden, müssen diese Zahlen aufrütteln: In Deutschland arbeiten überdurchschnittlich viele Ärztinnen und Ärzte, gleichzeitig gibt es mehr Krankenhaus- und Intensivbetten als in fast allen anderen verglichenen Ländern. Dennoch sterben die Menschen in Deutschland früher.

Seit Jahren setzen wir uns für mehr Prävention ein. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die sprechende Medizin aufgewertet würde, so dass die hausärztlichen Kolleginnen und Kollegen endlich mehr Zeit für die Gesundheitsberatung hätten. Anders wird es nicht gelingen, gerade die Risikogruppen zu erreichen. Das geht nur im Gespräch«, , kommentiert Prof. Martin Scherer, Präsident der DEGAM.
»In Deutschland gibt es ein krasses Missverhältnis: Die Zahl der Arztkontakte pro Person ist extrem hoch – die Zeit pro Patient*in, um gesundheitsförderndes Verhalten zu besprechen, ist aber viel kürzer als in den Vergleichsländern.«

Echte Prävention ist zudem weit mehr als eine medizinische – sie ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe:

Deutschland ist Spitzenreiter beim Pro-Kopf-Verbrauch von Zucker, hat immer noch überdurchschnittlich hohe Alkohol- und Raucherquoten (und als eines der wenigen Länder noch kein Werbeverbot für Zigaretten) und einen viel zu hohen Anteil an Übergewichtigen und Adipösen. Bei der Ernährung fällt der hohe Anteil an tierischen Produkten auf. Defizite gibt es auch bei der körperlichen Aktivität«, ergänzt Dr. Thomas Maibaum, stellvertretender Sprecher der DEGAM-Sektion Prävention.

Gleichzeitig warnt die Fachgesellschaft davor, die Verantwortung allein auf die Betroffenen abzuwälzen.

Seit Jahren ist bekannt, dass reine Verhaltensprävention in erster Linie Menschen erreicht, die ohnehin gesundheitsbewusst leben. Bei der seit Jahren diskutierten Verhältnisprävention kommt Deutschland weder in der Forschung noch in der Praxis des öffentlichen Gesundheitswesens (Public Health) wirklich voran. Erste und längst überfällige Schritte wären Einführung einer Zuckersteuer, Werbeverbot für Tabakprodukte, Raucherentwöhnung als Kassenleistung, Subventionierung gesunder Ernährung in Kindergärten und Schulen und mehr Sportangebote für alle Altersgruppen«, fordert Martin Scherer.
»Nur so können wir bei der Lebenserwartung zumindest den internationalen Durchschnitt erreichen.«

Als Konsequenzen aus der Studie sieht die Autorengruppe insbesondere Defizite in der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die DEGAM geht davon aus, dass die kardiovaskuläre Krankheitslast auch medikamentös wirksamer reduziert werden kann:

Menschen mit einem hohen absoluten und relativen Herzinfarktrisiko sollten verstärkt Statine verordnet bekommen«, fasst Dr. Uwe Popert, Sprecher der DEGAM-Sektion Allgemeinmedizin, den aktuellen Wissensstand zusammen.
»In Deutschland liegt die Indikationsschwelle derzeit bei einem Risiko von 20 Prozent, innerhalb von zehn Jahren ein kardiovaskuläres Ereignis (zum Beispiel Herzinfarkt) zu erleiden. Im europäischen Ausland liegt die Indikationsschwelle meist bei 10 Prozent. Auch in Deutschland sollte dieser Wert insbesondere für jüngere Menschen bei 10 Prozent liegen, um eine problematische Verzögerung der Behandlung zu vermeiden.«