Silhouette eines menschlichen Kopfes vor schwarzem Hintergrund, aus dem in blauen Farben Zahlenreihen, Server und globale Vernetzung herausragen.

In der Einleitung des kürzlich erschienenen Bestsellers »How the world thinks« (Wie die Welt denkt) schreibt Julian Baggini:

Die meisten Menschen artikulieren nicht bewusst die philosophischen Annahmen, die sie übernommen haben, und sind sich oft nicht einmal bewusst, dass sie welche haben, aber die Annahmen über die Natur des Selbst, die Ethik, die Quellen des Wissens und die Ziele des Lebens sind tief in unseren Kulturen verankert und bestimmen unser Denken, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.«

Einfach ausgedrückt: Praktisch alles, was wir glauben – und zwar weit über die offensichtlich kulturell gebundenen Glaubenssysteme wie Religion oder Politik hinaus –, ist von einer Reihe komplexer kultureller und menschlicher Prozesse durchdrungen. Die Art und Weise, wie wir über Alkoholprobleme denken, sei es als Mitglieder der Öffentlichkeit oder als Fachleute in diesem Bereich, bildet da keine Ausnahme.

In einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung »Alkoholkonsumstörungen (falsch) verstehen: Plädoyer für einen Ansatz, bei dem die öffentliche Gesundheit im Vordergrund steht« versuchen wir, einige der Wege zu entschlüsseln, auf denen verschiedene soziokulturelle Prozesse die Sprache, Konzepte und Reaktionen auf Alkoholprobleme geprägt haben. Dabei argumentieren wir, dass die Ansichten über Alkoholprobleme in der Öffentlichkeit weitgehend falsch sind, insbesondere aufgrund von Stereotypen darüber, »wer« und »was« Menschen mit Alkoholproblemen sind und was im Gegenzug getan werden sollte.

Alkoholkonsumstörungen (falsch) verstehen: Plädoyer für einen Ansatz, bei dem die öffentliche Gesundheit im Vordergrund steht

Eine Hand lehnt mit eindeutiger Geste ein angebotenes Glas mit einem alkoholischen Getränk ab.

Highlights

  • Die heutigen Konzepte der Alkoholkonsumstörung weisen zahlreiche Einschränkungen auf.
  • Dazu gehört auch die Diskrepanz zwischen Alkoholkonsumstörungen und der öffentlichen Wahrnehmung.
  • Die öffentliche Meinung über Alkoholkonsumstörungen beruht auf biogenetischen Vorstellungen von »Alkoholismus«.
  • Um die Eindämmung der Alkoholkonsumstörung entscheidend voranzubringen, ist ein gesundheitspolitischer Ansatz erforderlich.
  • Es wird empfohlen, Alkoholkonsumstörungen als Ganzes zu sehen und dessen ökologische Verständnis zu fördern.

Der öffentliche Sprachgebrauch im Zusammenhang mit Alkoholproblemen steht daher im Widerspruch zu »wissenschaftlichen« Konzepten. Während die Alkoholkonsumstörung das wichtigste zeitgenössische Konzept zur Identifizierung und Behandlung von Alkoholproblemen aus klinischer und politischer Sicht ist, kennen oder verwenden nur wenige Mitglieder der Öffentlichkeit den Begriff Alkoholkonsumstörung oder denken an sie im Sinne von Alkoholkonsumstörungs-Konzepten (zum Beispiel gemäß dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, DSM). Stattdessen ist »Alkoholismus« das vorherrschende »Glaubenssystem«, bei dem die meisten Bürger*innen anhand gängiger Skripte und Stereotypen über »Alkoholiker*innen« entscheiden, ob ihr eigener Alkoholkonsum oder der einer anderen Person ein »Problem« darstellt.

Öffentliches gegenüber wissenschaftlichem Verständnis von Alkoholkonsumstörungen

Der Begriff »Alkoholismus« erfasst jedoch nicht die sehr komplexe und vielfältige Natur der Alkoholkonsumstörung. Insbesondere spiegeln die Vorstellungen über Alkoholismus typischerweise die »schwersten« Alkoholprobleme wider, insbesondere die körperliche Abhängigkeit. Alkoholismus ist auch stark mit Erzählungen wie dem »Erreichen des Tiefpunkts«, der Notwendigkeit lebenslanger Abstinenz und der Überzeugung verbunden, dass es sich um eine »chronisch rückfällige Krankheit« handelt, die auf biologische Faktoren wie die Gene zurückzuführen ist.

Zwar wird in der Wissenschaft immer noch darüber diskutiert, ob es sich bei schwerer Alkoholkonsumstörung (oder »Sucht«) um eine »Krankheit« in irgendeiner Form handelt, doch besteht allgemeiner Konsens darüber, dass Alkoholkonsumstörung auf einem breiten Kontinuum mit einer sehr großen Bandbreite unterschiedlicher Symptome und Folgen existiert. Es ist daher unumstritten, dass Fälle von Alkoholkonsumstörungen mit geringerem Schweregrad (die einen viel größeren Anteil der Alkoholkonsument*innen betreffen) sehr wenig Ähnlichkeit mit der gängigen Vorstellung von »Alkoholismus« haben. In der Tat kann der öffentliche Diskurs über »Komasaufen«, »Borderline-Alkoholismus« (wie kürzlich von der Sängerin Adele beschrieben) oder »Grauzonentrinker*innen« als Versuch gesehen werden, die Grenzen des Alkoholismuskonzepts zu überwinden.

Wie kam es dazu, dass das »Alkoholismus«-Modell die Vorstellungen über die Alkoholkonsumstörung dominierte?

Wir untersuchen daher, wie sich das Alkoholismusmodell zusammen mit einer Reihe anderer Kräfte entwickelt hat, die dazu geführt haben, dass sich die Ansichten über Alkoholprobleme stark auf das schwere Ende des Spektrums konzentriert haben und, was entscheidend ist, die Ursachen der Alkoholkonsumstörung und die Verantwortung des Einzelnen überbetont haben. So haben beispielsweise in den letzten Jahrzehnten die zunehmenden genetischen und neurowissenschaftlichen Technologien und Forschungen den Schwerpunkt auf »biomedizinische« Erklärungen und Behandlungen gelegt.

Trotz umfangreicher Investitionen in die Biomedizin sind jedoch keine großen Fortschritte bei der Behandlung von Alkoholkonsumstörungen zu verzeichnen. Andere mächtige Kräfte, darunter die Interessen der Alkoholindustrie, haben sich ebenfalls auf individuell ausgerichtete Erklärungen konzentriert und damit die Aufmerksamkeit von den eindeutigen umweltbedingten Faktoren für Alkoholprobleme wie Preis, Verfügbarkeit und Marketing abgelenkt. Darüber hinaus haben gängige kognitive Verzerrungen wie das Bedürfnis, komplexe Sachverhalte zu vereinfachen oder die persönliche Risikoanfälligkeit zu minimieren, indem auf die extremeren »anderen« (das heißt die schwersten Fälle von Alkoholkonsumstörung) verwiesen wird, ebenfalls zur Verbreitung des Konzepts »Alkoholismus« beigetragen.

Es ist immer wichtig, anzuerkennen, dass ein »Alkoholismus«-Modell für Menschen mit schwereren Alkoholkonsumstörungen oft ein wertvolles Konzept ist. Das Fortbestehen der Anonymen Alkoholiker (AA) und die Belege für ihre Wirksamkeit bei einigen Gruppen sind ein Beleg dafür. Wir erkennen zwar den Wert des Alkoholismusmodells für einige an, insbesondere für diejenigen, die durch die Anonymen Alkoholiker genesen, zeigen aber auch auf, wie seine anhaltende Dominanz in der öffentlichen Meinung viele wichtige Ziele der öffentlichen Gesundheit behindert.

Was sollte getan werden, um das Verständnis der Alkoholkonsumstörung zu verbessern?

Auch wenn die Konzepte der Alkoholkonsumstörung selbst viele bemerkenswerte Einschränkungen aufweisen, fordern wir proaktivere Bemühungen, um das öffentliche Verständnis für das Wesen der Alkoholkonsumstörung und ihre Bewältigung zu erweitern. Beispielsweise erholen sich die meisten Menschen von einer Alkoholkonsumstörung auf »natürliche« Weise, ohne dass eine formelle Behandlung erforderlich ist, und viele erlernen eine unproblematische (oder, was noch wichtiger ist, eine weniger schädliche) Beziehung zum Alkohol. Die Verwendung der Terminologie »Alkoholismus« außerhalb des Kontextes der Selbstidentifikation lässt diese wichtigen Möglichkeiten außer Acht. Adrian Chiles ist ein Beispiel für jemanden, der seinen Alkoholkonsum viele Jahre lang nicht als »Problem« betrachtete, weil er sich selbst nicht als »Alkoholiker« ansah, was zeigt, wie die kulturell verankerten Annahmen über Alkoholprobleme Veränderungen behindern können.

Eine Erweiterung des öffentlichen Verständnisses von Alkoholkonsumstörung über den Begriff »Alkoholismus« hinaus hin zu der Erkenntnis, dass es sich um ein breites Kontinuum handelt, mit vielen Wegen zur Genesung, einschließlich der Mäßigung, wird dazu beitragen, einen Wandel hin zu einem stärkeren Public-Health-Ansatz zu erleichtern. Das bedeutet nicht, dass individuell ausgerichtete Behandlungen oder Forschung nicht wichtig sind. Es ist jedoch an der Zeit, den hohen Kosten mehr Aufmerksamkeit zu schenken, die entstehen, wenn man sich auf die Alkoholkonsumstörung »im Inneren« der Menschen konzentriert, anstatt sich auf die Menschen zu konzentrieren, die in einem komplexen und weitgehend alkoholfreundlichen Umfeld leben.

Der vollständige Artikel »(Mis)understanding alcohol use disorder: making the case for a public health first approach« ist als Open Access in der Zeitschrift Drug and Alcohol Dependence veröffentlicht.

Verfasst von Dr. James Morris, Research Fellow am Centre for Addictive Behaviours Research, London South Bank University, Dr. Cassandra L. Boness, Research Assistant Professor und Licensed Clinical Psychologist, University of New Mexico, und Dr. Robyn Burton, Office for Health Improvement and Disparities und am Institute of Psychiatry, Psychology & Neuroscience, King's College London.

Quelle: Institute of Alcohol Studies

Übersetzt mit www.DeepL.com