Forum Alkohol und Gesundheit tagte im April

In den letzten Jahren hat sich das von der Europäischen Kommission eingesetzte Forum „Alkohol und Gesundheit“ immer mehr zu einem Treffen entwickelt, auf das sich sowohl die Alkoholindustrie als auch die Nicht-Regierungsorganisationen (NGO’s) sorgfältig vorbereiten. Die Europäische Kommission sieht dieses Forum als ein „Werkzeug“, um sich bzw. die Europäische Politik mit Wissen auszustatten. Mit Wissen, welches dringend erforderlich ist, um die alkoholbezogenen Störungen, Schäden und Kosten in Europa zu reduzieren. Das Forum hat dabei nur einen Schönheitsfehler: Es löst unendlich scheinende Diskussionen aus.

Das Muster ist immer das gleiche. Da gibt die Europäische Kommission zum Beispiel ein Gutachten bei der renommierten Rand-Corporation in Auftrag. Zum Beispiel, um die Wirkung von Alkoholwerbung auf junge Menschen zu untersuchen. Das Ergebnis ist nicht überraschend: Alkoholwerbung beeinflusst vor allen Dingen junge Menschen. Die NGO’s freuen sich und denken, dass nun der Durchbruch geschafft sei, um Alkoholwerbung zu verbieten bzw. massiv einzuschränken. Aber so einfach ist es nicht. Die der Industrie nahestehenden Organisationen geben ein Gegengutachten – denn sie haben ja das Geld dafür – in Auftrag. Auch hier ist das Ergebnis nicht überraschend. So einfach könne man den Zusammenhang nicht herstellen. Das sei alles viel differenzierter zu betrachten und dazu seien neue Gutachten erforderlich.

Worum geht es also? Es geht darum, Zeit zu gewinnen. Brauern, Brennern und Weinbauern in Europa ist völlig klar, dass für ein gesundheitsschädigendes Produkt die Regeln neu verhandelt werden. Die Diskussionen im Tabakbereich sind noch nicht vergessen, sie liegen quasi als „Blaupause“ über allen Verhandlungen. Und die Abläufe sind ebenfalls identisch. Zunächst wird versucht deutlich zu machen, dass das Produkt nicht schädlich sei, also zu Recht unter das Lebensmittelgesetz falle. Warum soll für ein „Kulturgut“ etwas zu regeln sein? Zumal es ja nicht am Alkohol liege, dass Menschen abhängig werden oder Schäden erleiden, sondern dass es ja das menschliche Verhalten im Umgang mit Alkohol sei.

In der zweiten Stufe ist dann nicht mehr zu vermeiden, dass auch der Substanz an sich schädliche Wirkung zugesprochen wird, dass Alkohol abhängig macht und dies auch in den entsprechenden Klassifikationssystemen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) so beschrieben wird. Das führt dazu, dass die Produzenten sagen: Wir wollen unser Produkt nur an die Menschen verkaufen, die damit umgehen können. Ein weiteres Lippenbekenntnis, denn 10 % der Bevölkerung trinken 50 % aller alkoholischen Getränke. Und es ist kein Zufall, wenn es gerade diese 10 % sind, die riskant, schädlich oder abhängig konsumieren. Aber auf 50 % des Umsatzes verzichten? Das kann dann doch nicht sein, da bedarf es anderer Strategien.

Also geht es darum, jede staatliche Einflussnahme von vornherein zu verhindern – oder zu verzögern. Das bedeutet, dass aktuell drohende Einschränkungen, zum Beispiel bei der Werbung für alkoholische Getränke, durch sogenannte „freiwillige Vereinbarungen“ unterlaufen werden. Hier wird der Politik deutlich gemacht: Bevor Ihr Gesetze beschließt, kann es doch hilfreicher sein, wenn wir uns als Industrie darauf einigen, Eure Forderungen ohne gesetzliche Vorschriften zu beachten. Ein Dilemma insbesondere für konservative und liberale Politiker. Das liegt doch auf ihrer Linie, dass sich die Industrie verpflichtet, etwas nicht zu tun, bevor man es verbieten muss.

Und dann geht eine neue Diskussion los: Was sollte da geregelt werden? Fazit: Es wird Zeit geschunden, in der immer weiter für ein gesundheitsschädliches Produkt geworben werden darf. Und die Werbung ist hier ja nur ein Beispiel. Man könnte die gleiche Geschichte von der Kennzeichnungspflicht erzählen. Was würden sich die Weintrinker wundern, wenn sie eine komplette Liste der Inhaltsstoffe auf dem Etikett finden würden!

Doch zumindest bei den Piktogrammen, die als Hinweis auf Flaschen erscheinen sollen – und in einigen Ländern ja auch bereits erscheinen – scheint es eine Entwicklung zu geben. Der erste große europäische Bierkonzern hat damit begonnen, Piktogramme auf seine Flaschen und Dosen zu drucken. Die deutschen Brauer finden das nicht gut. Aber die großen Konzerne haben gehört, dass Prüfaufträge laufen, dass es Projekte gibt, die die Sinnhaftigkeit untersuchen sollen, und dass 2018 mit der Einführung einer Hinweispflicht zu rechnen ist. Sie hätten es sonst nicht gemacht, aber sie wissen, wo die Glocken läuten.

Was sind die weiteren Themen im Bereich der Alkoholpolitik, die aktuell anstehen, auf europäischer Ebene oder aber in den Staaten diskutiert werden?

Zum Thema „Kennzeichnungspflicht“ werden aktuell drei Fälle vor einem italienischen Gericht verhandelt. Geklagt haben Menschen, die an Krebs erkrankt sind und dieses ursächlich auf den Alkoholkonsum zurück führen.

Mit dem Thema „Alkohol und Krebs“ beschäftigen sich vor allen Dingen die ärztlichen Fachgesellschaften. Die englische Ärztekammer hat dazu gerade eine neue Broschüre heraus gegeben.

Aufgrund der Initiative Schottlands wird das Thema „Mindestpreise für alkoholische Getränke“ weiter vorangetrieben. Die europäischen Staaten hatten diese Bemühung abgelehnt, weil sie den freien Markt dadurch in Gefahr sehen, aber das Thema bleibt auf der Tagesordnung.

In England gibt es eine neue Initiative, die sich dafür einsetzt, kleinere Gebinde für alkoholische Getränke einzuführen und zusätzlich den Alkoholgehalt zu vermindern. Zwei Maßnahmen, die dafür sorgen könnten, dass insgesamt weniger Alkohol getrunken würde. Die englischen Medien haben dies aber nicht positiv aufgegriffen, sondern als „Verwässerung“ in ihren Kommentaren kritisiert.

Die Daten von „Eurostat“, dem Statistikamt der EU, bieten immer wieder interessante Einblicke. So wenden die Isländer (die nur in der Statistik als Europäer geführt werden) pro Kopf am wenigsten für Tabak auf, für Alkohol aber mehr als der durchschnittliche Europäer.

Und zum Schluss: Die australischen Ärzte haben erklärt, dass sie keine Lust mehr hätten, in diesem großen Ausmaß Menschen zu behandeln, die sich ihre Verletzungen aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums oder als Folge alkoholbedingter Gewalt zugezogen haben.

Das ist eine schlichte und einfache Aussage, die ich verstehe.

Rolf Hüllinghorst